Ein weit verbreiteter Mythos in vielen Unternehmen lautet: „In einem wirklich guten Team gibt es keine Konflikte.“ 💥
Diese Vorstellung ist nicht nur unzutreffend, sie kann sogar schädlich sein. Die Realität zeigt, dass Konflikte in hochperformanten Teams nicht nur vorkommen, sondern sogar häufiger sind als in durchschnittlichen Teams. Doch warum sind Konflikte in erfolgreichen Teams kein Zeichen von Schwäche, sondern eine wichtige Quelle der Stärke und Innovation?
Konflikte als Indikatoren für Wachstum
Ich selbst hatte lange Zeit die Haltung, dass Konflikte – sowohl im beruflichen als auch im privaten Bereich – bedrohlich sind und vermieden werden sollten. Ich habe Konflikte lange Zeit als Störung des harmonischen Miteinanders und als Risikofaktor für das Teamverständnis angesehen. Doch je mehr ich mich mit dem Thema auseinandergesetzt habe, desto klarer wurde mir: Konflikte sind weit mehr als nur ein störender Faktor. Sie sind ein wertvoller Indikator für Entwicklungspotenziale und zeigen uns, wo noch Unklarheiten, unterschiedliche Perspektiven oder ungelöste Spannungen existieren.
Wenn Konflikte nicht eskalieren, sondern konstruktiv bearbeitet werden, bieten sie die Gelegenheit, Teams und Prozesse kontinuierlich zu verbessern. Der Schlüssel ist der Umgang mit Konflikten. Dieser Umgang entscheidet darüber, ob ein Team in seiner Entwicklung stagniert oder als starke Gemeinschaft wächst.
Was macht High-Performing Teams ausmacht
In Hochleistungsteams wird Konflikt als eine Gelegenheit betrachtet, nicht als Bedrohung. Diese Teams haben gelernt, Spannungen zu nutzen, um kreative Lösungen zu entwickeln und als Einheit zu wachsen. Die Auseinandersetzungen in diesen Teams sind leidenschaftlich, doch sie bleiben immer auf der Sachebene. Sie entstehen oft durch unterschiedliche Sichtweisen und Ideen, was zu intensiven, aber produktiven Diskussionen führt.
Was zeichnet High-Performing Teams noch aus? In solchen Teams herrschen Vertrauen, Respekt und Wertschätzung. Diese grundlegenden Werte ermöglichen es den Mitgliedern, auch heikle Themen anzusprechen und Lösungen zu entwickeln, ohne dass sich jemand persönlich angegriffen fühlt. Konflikte sind keine Bedrohung, sondern eine Chance zur Innovation und Weiterentwicklung.
Im Gegensatz dazu leiden „durchschnittliche“ Teams häufig unter einem Mangel an Vertrauen. Persönliche Spannungen, Misstrauen und Egoismus verhindern offene Diskussionen. Wichtige Themen werden entweder gar nicht oder nur oberflächlich behandelt, was zu Frustration, Rückzug und mittelmäßigen Ergebnissen führt.
Der Einfluss von Psychologischer Sicherheit
Ein entscheidender Faktor, der den Unterschied zwischen einem guten und einem großartigen Team ausmacht, ist die psychologische Sicherheit. Dies ist ein Konzept, das vor allem durch die Arbeit von Amy Edmondson, Professorin für Leadership an der Harvard Business School, bekannt wurde. Sie beschreibt psychologische Sicherheit als das Vertrauen, dass man sich nicht vor negativen Konsequenzen fürchten muss, wenn man seine Meinung äußert, Fehler zugibt oder Kritik übt. In einem Umfeld mit psychologischer Sicherheit fühlen sich die Teammitglieder sicher, auch schwierige Themen anzusprechen oder ihre eigenen Unsicherheiten zu teilen [1].
Das wohl bekannteste Projekt zu diesem Thema ist Project Aristotle von Google, das 2012 ins Leben gerufen wurde. Ziel des Projekts war es herauszufinden, welche Faktoren den Erfolg von Teams beeinflussen. Die Forscher bei Google entdeckten, dass psychologische Sicherheit der wichtigste Erfolgsfaktor für ein Team ist. Teams, die sich gegenseitig respektieren, in denen offene Kommunikation gefördert wird und in denen jeder ohne Angst vor negativen Konsequenzen seine Meinung äußern kann, erzielen deutlich bessere Ergebnisse. Dabei zeigte sich, dass es nicht die individuellen Fähigkeiten oder die fachliche Expertise der Teammitglieder waren, die den Unterschied ausmachten, sondern die Art und Weise, wie sie miteinander interagierten und miteinander kommunizierten. Insgesamt wurden im Rahmen 5 Faktoren identifiziert, die Spitzenleistungen im Team ermöglichen [2]:
➡️ Psychologische Sicherheit: Teammitglieder erleben ein Umfeld, in dem sie offen sprechen und Risiken eingehen können, ohne Angst vor negativen Konsequenzen zu haben, was Vertrauen und Innovation fördert.
➡️ Zuverlässigkeit: Die Teammitglieder handeln verantwortungsbewusst und erledigen ihre Aufgaben termingerecht und sorgfältig, um ein hohes Maß an Qualität sicherzustellen.
➡️ Struktur & Klarheit: Klare Rollenverteilungen, definierte Abläufe und präzise Zielvorgaben schaffen die Grundlage für strukturierte Entscheidungsfindung und Zusammenarbeit.
➡️ Sinnhaftigkeit: Die Arbeit der Teammitglieder hat eine persönliche Bedeutung, die sie motiviert und ihre Identifikation mit der Aufgabe stärkt.
➡️ Wirkung: Die Teammitglieder sind überzeugt, dass ihre Arbeit eine positive Auswirkung auf die Organisation hat und einen Unterschied macht.
Konflikte und Burnout-Prävention: Die Rolle einer gesunden Konfliktkultur
Ein häufig unterschätzter Zusammenhang zwischen Konflikten und Teamdynamik ist der Einfluss auf das Wohlbefinden der Mitarbeitenden. In einer gesunden Konfliktkultur, in der Spannungen offen und konstruktiv angesprochen werden, sinkt das Risiko von Stress und emotionaler Erschöpfung, die zu Burnout führen können. Fehlen klare Kommunikationskanäle und ein respektvoller Umgang mit Konflikten, werden ungelöste Spannungen oft internalisiert, was zu einer stetigen Überlastung und Unzufriedenheit führt.
Wie lässt sich eine gesunde Konfliktkultur im Unternehmen etablieren?
Um Konflikte als wertvolle Chance zu nutzen, müssen Unternehmen aktiv eine gesunde Konfliktkultur fördern. Dies erfordert eine Kombination aus Vertrauen, offener Kommunikation und den richtigen Tools. Hier sind vier zentrale Schritte, um Konflikte in der Teamarbeit produktiv zu gestalten:
👉 Psychologische Sicherheit schaffen: Ein Team braucht ein Umfeld, in dem jede Meinung wertgeschätzt wird, ohne dass jemand Angst vor negativen Konsequenzen hat. Führungskräfte sollten als Vorbilder agieren, indem sie offene Kommunikation fördern und Fehler als Lernchancen betrachten. Nur in einem solchen Klima sind Konflikte als Chance für Weiterentwicklung möglich.
👉 Konfliktkompetenz schulen: Konflikte entstehen häufig aufgrund mangelnder Kommunikationsfähigkeiten. Mitarbeitende sollten deshalb mit Tools wie Gewaltfreier Kommunikation (GFK) oder anderen Methoden der gewaltfreien Konfliktlösung geschult werden. So wird es einfacher, Konflikte klar, empathisch und lösungsorientiert anzusprechen [3].
👉 Räume für echte Gespräche schaffen: Konflikte lösen sich nicht „zwischen Tür und Angel“. Um Spannungen frühzeitig zu adressieren und tiefgehende Diskussionen zu führen, brauchen Teams regelmäßige Formate wie Retrospektiven, Feedback-Runden oder Team-Reflexionen. In diesen strukturierten Formaten können Konflikte auf der Sachebene besprochen werden, ohne dass sie die Teamdynamik belasten.
👉 Ressourcen bereitstellen: Regelmäßige Team-Reflexion erfordert Zeit und Budget. Führungskräfte sollten sicherstellen, dass diese Reflexionsräume eingeplant und als wichtig erachtet werden. Wenn Konflikte nicht nur oberflächlich behandelt, sondern aktiv und mit den richtigen Ressourcen angegangen werden, haben sie das Potenzial, das Team und das Unternehmen voranzubringen.
💥Fazit: Konflikte als Stärke
Konflikte sind keine Schwäche – sie sind die Stärke großartiger Teams. Der Umgang mit Konflikten und Spannungen entscheidet, ob ein Team auf der Stelle tritt oder als Gemeinschaft wächst. Konflikte bieten eine wertvolle Chance für Innovation und Veränderung. Harmonie ist angenehm, aber wahre Leistung entsteht erst im Spannungsfeld von Meinungsvielfalt, Respekt und offenen Diskussionen.
Die entscheidende Frage für Führungskräfte lautet daher: Wie sicher fühlen sich eure Teammitglieder, Spannungen anzusprechen? Eine Kultur der psychologischen Sicherheit ist der Schlüssel, damit Konflikte nicht zerstören, sondern Wachstum und Innovation fördern. Hochleistungs-Teams sind keine Teams ohne Konflikte – sie sind Teams, die den Mut haben, diese zu leben und daran zu wachsen.
Gerade bei Hochleistungsteams zeigt sich hier wieder, wie wichtig EmoRational Leadership – Qualitäten sind, um die volle Wirksamkeit in Teams zu erreichen.
Seid ihr bereit, Konflikte als Entwicklungsmotor zu sehen und aktiv daran zu arbeiten, eine Kultur der psychologischen Sicherheit zu schaffen? Lasst uns diese Herausforderung annehmen und Konflikte als Hebel für Teamwachstum und Innovation nutzen.
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Quellen:
[1] Edmondson, Amy C. The Fearless Organization: Creating Psychological Safety in the Workplace for Learning, Innovation, and Growth. Wiley, 2018.
[2] Google’s Project Aristotle: https://rework.withgoogle.com/print/guides/5721312655835136/
[3] Grant, Adam. Originals: How Non-Conformists Move the World. Viking, 2016.
[4] Marshall B. Rosenberg, Nonviolent Communication: A Language of Life. PuddleDancer Press, 2015.