Das SCARF-Modell – Wie ein Schal das Arbeitsklima positiv beeinflussen kann

Unternehmen sabotieren ihre eigenen Mitarbeitenden – oft unbewusst!😱

Vielleicht ist das ein oder andere Beispiel nicht ganz unbekannt:

  • Wir haben eine gute Idee, bekommen aber nur negative Reaktionen
  • Wir haben uns für eine Sache mit hohem Engagement eingesetzt, erhalten aber nicht die Wertschätzung von unseren Vorgesetzten oder Kolleg*innen
  • Eine Umstrukturierung steht an, aber es herrscht keine Transparenz, was genau auf den einzelnen zukommt

Solche oder ähnliche Situationen sind eine der Ursachen, weshalb ein kooperatives und vertrauensvolles Miteinander in Unternehmen oftmals erschwert wird.

Aber weshalb ist das so?

Jeder Mensch hat elementare Bedürfnisse. Werden diese erfüllt, dann schaltet sich in unserem Gehirn das Belohnungssystem an. In diesem Zustand sind wir entspannt, leistungsfähig, lern- und kooperationsbereit. Dagegen löst die Abwertung dieser Bedürfnisse Stress und Widerstand aus. Es kommt zu einer Art Bedrohungszustand, in dem Lernen und eine vertrauensvolle Zusammenarbeit nicht möglich sind. Durch den oftmals unbewussten Umgang miteinander wird in Unternehmen dieser Bedrohungszustand verursacht.

Was können wir tun, um diesen Bedrohungszustand bestmöglich zu vermeiden?

Das SCARF-Modell nach David Rock kann hier Abhilfe verschaffen. Das Modell basiert auf den neuesten Erkenntnissen der sozialkognitiven Neurowissenschaften und beschreibt, welche elementaren Grundbedürfnisse erfüllt sein müssen, damit in Unternehmen ein positives Zusammenarbeitsklima geschaffen wird. 

Nach dem Modell gibt es 5 Faktoren, die einen enormen Einfluss auf unser Verhalten haben und darüber entscheiden, ob wir Dinge als Belohnung oder Bedrohung empfinden. Diese Faktoren sind in dem engl. Akronym “SCARF” zusammengefasst:

  • Status: Wie wichtig sind wir im Vergleich zu anderen?
  • Certainty (Sicherheit, Gewissheit): Wie vorhersehbar ist unsere Zukunft?
  • Autonomy (Autonomie): Wie stark können wir über unser Leben bestimmen und mitgestalten?
  • Relatedness (Verbundenheit): Wie stark fühlen wir uns in einer Gemeinschaft aufgenommen?
  • Fairness: Wie gerecht fühlen wir uns behandelt?
Das SCARF-Modell

Doch was genau steckt hinter diesen fünf Faktoren – und warum spielen sie eine so entscheidende Rolle im Arbeitsalltag?

Status

Unser Status ist ein grundlegendes Bedürfnis, das tief in uns verankert ist. Wir alle möchten uns als wertvoll und bedeutend fühlen, sowohl im Team als auch im Unternehmen. Wird dieser Status bedroht – etwa durch das ständige Übergehen eigener Ideen oder das ständige Übertreffen von Kollegen in der Hierarchie – fühlt sich das wie eine Bedrohung an. Ein Beispiel aus dem Arbeitsalltag könnte ein Teammeeting sein, in dem eine Person fortwährend ihre Vorschläge nicht gehört bekommt, während andere Ideen unreflektiert übernommen werden. Die Folge ist oft Demotivation und ein Rückzug aus aktiver Beteiligung.

Menschen, deren Status bedroht wird, zeigen ähnliche Reaktionen wie bei körperlichen Bedrohungen, was das Gehirn in einen Kampf-oder-Flucht-Modus versetzt. In einem solchen Zustand sind Menschen weniger bereit, neue Informationen aufzunehmen oder konstruktiv zu kommunizieren [1]. Diese Reaktionen verdeutlichen, wie wichtig es ist, den Status der Mitarbeitenden zu sichern, um eine produktive und kooperative Arbeitsumgebung zu gewährleisten.

Certainty

Menschen streben nach Vorhersehbarkeit, weil sie dadurch Kontrolle über ihre Situation gewinnen. Unsicherheit, etwa durch ständige Umstrukturierungen oder ausbleibende Informationen, kann die Stresshormone aktivieren und das Gefühl der Bedrohung verstärken. Ein konkretes Beispiel: Ein Unternehmen kündigt eine neue Software-Einführung an, ohne die Mitarbeitenden über den Zeitrahmen oder die Auswirkungen auf ihre Arbeit zu informieren. In einem solchen Fall fühlen sich die Mitarbeiter*innen unsicher und können ihre Aufgaben nicht effektiv erledigen, weil sie nicht wissen, was auf sie zukommt.

Studien zeigen, dass das Gefühl der Unsicherheit den Stresspegel erhöht und die Leistungsfähigkeit verringert. Eine klare Kommunikation und eine transparente Informationspolitik sind hier von entscheidender Bedeutung, um diese negativen Effekte zu minimieren und das Vertrauen der Mitarbeitenden zu erhalten [2]. Wenn Menschen keine Klarheit über ihre Umgebung und die bevorstehenden Veränderungen haben, fällt es ihnen schwer, fokussiert und effizient zu arbeiten.

Autonomy

Autonomie bedeutet, dass wir in der Lage sind, selbst zu entscheiden und unseren Arbeitsalltag mitzugestalten. Wird uns diese Entscheidungsfreiheit genommen – etwa durch Micromanagement oder die ständige Kontrolle unserer Arbeit –, entsteht das Gefühl einer Bedrohung. Ein Beispiel: Ein Teamleiter weist ständig jede Entscheidung an und lässt den Mitarbeitenden keine Möglichkeit zur Eigenverantwortung. Das führt zu Frustration und einem Gefühl der Entmündigung. Menschen möchten das Gefühl haben, ihre Arbeit in einem selbstbestimmten Rahmen ausführen zu können.

Forschungen von Deci und Ryan [3] haben gezeigt, dass das Gefühl der Autonomie zu höherer Motivation und besserer Leistung führt. Diese Erkenntnis unterstreicht, dass Unternehmen von einer Führung profitieren, die den Mitarbeitenden Raum für eigene Entscheidungen lässt. Indem die Mitarbeitenden ihre eigenen Lösungen finden und Verantwortung übernehmen können, wird nicht nur ihre Motivation gesteigert, sondern auch ihre Leistung verbessert.

Relatendness

Der Mensch ist ein soziales Wesen. Er fühlt sich sicher und wohl, wenn er sich in einer Gruppe akzeptiert und eingebunden fühlt. Wird diese Verbundenheit bedroht, beispielsweise durch ausschließendes Verhalten oder mangelnde Kommunikation im Team, entsteht ein Gefühl der Isolation. Ein Beispiel: Ein neuer Kollege wird ins Team aufgenommen, aber weder seine Kollegen noch die Führungskraft zeigen Interesse an ihm. Er wird ausgeschlossen und fühlt sich als Außenseiter – was sich negativ auf seine Arbeitsmotivation und seine Bereitschaft zur Zusammenarbeit auswirkt.

Das Gefühl der sozialen Verbundenheit ist darüber hinaus eng mit der Arbeitszufriedenheit und der Bereitschaft zur Kooperation verknüpft [4].

Fairness

Fairness ist ein weiterer zentraler Aspekt für das Wohlbefinden am Arbeitsplatz und eine der stärksten Triebkräfte für Motivation und Engagement [5]. Wenn Mitarbeiter das Gefühl haben, dass sie ungerecht behandelt werden, sei es durch ungleiche Arbeitsbelastung oder unfaire Beförderungspraktiken, entsteht Unmut und Widerstand. Ein Beispiel: Ein Mitarbeiter wird ständig mit zusätzlichen Aufgaben belastet, während ein anderer die gleiche Position innehat und deutlich weniger Arbeit übernimmt. Das führt zu Frustration und einem Gefühl der Ungerechtigkeit, was letztlich das Vertrauen und die Motivation im Team untergräbt.

Wie lässt sich das SCARF-Modell nun anwenden?

Das SCARF-Modell ist ein kraftvolles Werkzeug, das Führungskräften und Teams dabei helfen kann, ein Arbeitsumfeld zu schaffen, das Zusammenarbeit, Vertrauen und Innovation fördert. Die Anwendung ist simpel, aber wirkungsvoll. Hier sind einige konkrete Handlungsempfehlungen:

  1. Status sichern:

    Es ist wichtig, dass alle Teammitglieder gehört und wertgeschätzt werden. Dies bedeutet nicht, dass jeder Vorschlag immer umgesetzt wird, aber die Anerkennung und das Verständnis für Ideen spielen eine zentrale Rolle. Positives Verhalten sollte immer hervorgehoben werden, um den Status des Mitarbeiters zu stärken.

    Beispiel: Wenn ein Teammitglied eine Idee präsentiert, sollte nach den Hintergründen gefragt werden, um zu zeigen, dass die Sichtweise und Gedanken wertgeschätzt werden, auch wenn die Idee nicht sofort umgesetzt wird.

  1. Sicherheit erhöhen:

    Veränderungen und Unsicherheiten sollten klar und frühzeitig kommuniziert werden. Es ist wichtig, den Mitarbeitenden die nötigen Informationen und den Kontext zu liefern, damit sie verstehen, warum Entscheidungen getroffen werden und welche Auswirkungen diese haben.

    Beispiel: Bei der Einführung eines neuen Tools oder Prozesses sollte das Team im Voraus über Zeitrahmen, Schulungsangebote und den geplanten Ablauf informiert werden. Transparenz fördert Vertrauen.

  1. Autonomie stärken:

    Es sollte Raum gegeben werden, damit Teammitglieder Entscheidungen treffen und Verantwortung übernehmen können. Selbst kleine Anpassungen im Arbeitsprozess, die den Mitarbeitenden mehr Einfluss geben, können zu einer höheren Verantwortungsübernahme führen.

    Beispiel: Bei der Planung von Projekten könnte das Team selbst die Prioritäten setzen und Lösungen vorschlagen. Dadurch wird jeder Einzelne zum aktiven Mitgestalter und übernimmt Verantwortung.

  1. Verbundenheit fördern:

    Eine Atmosphäre der Zusammenarbeit und des respektvollen Miteinanders sollte geschaffen werden, in der sich alle als Teil des Teams fühlen. Teamarbeit sollte aktiv gefördert werden.

    Beispiel: Regelmäßige Teamevents oder informelle Treffen können dabei helfen, das Vertrauen und die zwischenmenschliche Verbindung zu stärken, was ein unterstützendes Netzwerk fördert.

  1. Fairness sicherstellen:

    Es sollte darauf geachtet werden, dass alle Teammitglieder gleich behandelt werden, insbesondere bei der Vergabe von Aufgaben und der Bewertung von Leistungen. Eine klare und gerechte Kommunikation ist entscheidend.

    Beispiel: Bei der Verteilung neuer Aufgaben sollte sichergestellt werden, dass dies transparent und auf Grundlage von Leistung und Fähigkeiten geschieht. Willkürliche Entscheidungen sollten vermieden werden, um ein ausgewogenes Arbeitsumfeld zu gewährleisten.

Nachfolgende Übersicht zeigt weitere Beispiele, welche Bedrohungen zu vermeiden und welche Belohnungen für eine gute Zusammenarbeit zu stärken sind:

Mögliche Bedrohungen und Belohnungen

Mein Fazit

Das SCARF-Modell ist ein unverzichtbarer Begleiter in Unternehmen, die Zusammenarbeit und Veränderungen effektiv gestalten möchten. Es bietet ein Erklärungsmodell für das Verhalten von Mitarbeitenden und gleichzeitig einen Bezugsrahmen, wie agile und digitale Transformation erfolgreich, gehirn-und damit menschenfreundlich gestaltet werden kann. Dabei ist zu beachten, dass jeder Mensch individuell ist! Das heißt: Was für den einen eine massive Bedrohung ist, stellt für den anderen kein Problem dar.

Wenn das SCARF-Modell für euch interessant klingt oder ihr Fragen dazu habt, dann kommt einfach auf mich zu. Im Rahmen von Workshops und Einzelformaten unterstütze ich Führungskräfte und Teams, das Modell erfolgreich in den Alltag zu integrieren.

_____________

Quellen:

[1] Rock, D. (2008). SCARF: A Brain-based Model for Collaborating with and Influencing Others. NeuroLeadership Journal

[2] Baum, A., et al. (1999): Stress, Social Support, and the Cancer Patient. Journal of Psychosomatic Research

[3] Deci, E. L., & Ryan, R. M. (2000): The „What“ and „Why“ of Goal Pursuits: Human Needs and the Self-Determination of Behavior. Psychological Inquiry

[4] Eisenberger, R., et al. (2004): Can Social Support Reduce the Effects of Stress? Journal of Social and Clinical Psychology

[5] Cropanzano, R., et al. (2007): Organizational Justice and Organizational Behavior. The Oxford Handbook of Work and Organizational Psychology